Texte über Raimund Girke


Peter Iden „Was uns angehört“

Die Kunst des Raimund Girke. Anlässlich der Ausstellung der Galerie Fahnemann zum 80.Geburtstag des Malers am 28.November 2010.    

Ein Mit- Entdecker der Kunst Raimund Girkes, Adam Seide, der ein Freund des Malers wurde, auch sein erster Galerist war, hat schon an den frühen Bildern erkannt, was bis zum Tode Girkes  ein Merkmal von dessen Malerei geblieben ist: die Vermittlung eines Gedankens, einer Vorstellung von „großzügiger Weite, die glauben machen kann, sie gehöre uns an“.  

Die Beobachtung Seides bezog sich zunächst auf  Bilder wie zum Beispiel „Farben der Erde“, die ab etwa der Mitte der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entstanden waren, zu der Zeit noch beeinflusst sowohl von den Kompositionen von Girkes Lehrer Georg Meistermann als auch von dem auf der Szene vorherrschenden Stilformen des Tachismus und des Informel. Der Eindruck von  großzügiger Weite verstärkte sich dem Betrachter  noch,  als Girke um 1960  die Farbwerte seiner Bilder mehr und mehr reduzierte – zugunsten von nun alle anderen Valeurs gleichsam in sich aufhebenden, die Bildflächen ganz bestimmenden,  hellweißen Tönen. „Weiß“, notierte der Maler damals, „ist grenzenloser, dimensionaler Raum“. An anderer Stelle  hat er das 1964 programmatisch noch weiter ausgeführt: „Ich will in meinem weißen Bildern den Bildraum nicht fixieren, sondern das Bild in ein Stadium führen, das über die Bewegung in der Fläche hinaus die unbegrenzte räumliche  Bewegung ermöglicht.“  

Die unbegrenzte  Bewegung,  Wellen in Weiß, die von der Fläche ausgehend  Raum spürbar werden lassen und füllen – das ist der Traum. Ihn zu verwirklichen, schränkt der Maler Girke sich ein in seinen Mitteln,  verkürzt er das im Repertoire der Farben  eigentlich Verfügbare, weist sich an auf Weiß.  Das ist seine Radikalität.  Aber wie viel er damit dennoch zeigen kann - das ist sein Triumph:  Sachte eingesetzte,  zumeist horizontal  angelegte Strukturen, eine Art von Lamellen,  die Modulationen des Weiß erzeugen; aus der Grundfarbe sich herausbildende  Grautöne, bis in Blaue treibend;  leise Vorgänge, die anheben und schwinden, den  Betrachter  einnehmen für einen wichtigen Augenblick.  

Es ist, als studiere die Energie Weiss sich  selbst. Die horizontalen Gliederungen helfen,  scheinen zu stören und stören absichtsvoll, weil der die Monochromie leise unterbrechende Eingriff  wie ein retardierender Einwurf immer wieder  Neues zutage bringt. Man hatte so etwas bis dahin noch nicht gesehen: Weiß über Weiß hinaus und wieder zurückführend zu sich selbst. Es war, als sollte und als könnte mit diesen Bildern alles noch einmal beginnen, die Malerei, das Denken, die Liebe, das Leben, eben alles.

Und es begann so, im Oeuvre von Girke, dann ja auch wirklich ein Prozess, in dessen Verlauf die Bildräume sich anfangs kaum merklich, in den achtziger Jahren dann  sehr nachdrücklich verändern. Die Monochromie wird allmählich aufgegeben,  das Weiß begegnet seiner Gegenfarbe, dem Schwarz, zumal in den  Bleistiftzeichnungen entstehen flirrende, das Auge verwirrende Zonen des Zusammenspiels der Kontraste.

In der Folge bringt sich der Pinselzug immer dynamischer, heftiger  zur Geltung und drängt, in den Werken  der neunziger Jahre, deutlich über die Begrenzungen der Flächen hinaus. Unübersehbar bildet sich dabei aus, was der Maler seine „Handschrift“ nennt. Sie ist es, die ihn mit seiner Emotionalität und den spontanen Reaktionen auf die Welt, im einzelnen Bild bewahrt und verwirklicht. Im Gespräch hat  Girke den Vorgang  einmal so geschildert:  Erst wenn er das Empfinden habe, mit seiner Handschrift in ein Bild eingegangen zu sein, erst also wenn es derart eine Spur von ihm selbst enthalte und bezeuge, könne er es als seines beglaubigt wissen.

Die späten Bilder Raimund Girkes, der vor acht
Jahren verstorben ist und achtzig geworden wäre in diesem Jahr, sind von einer erstaunlichen Vitalität und Dramatik. Erregter als die  Weißbilder der frühen Jahre – aber zugleich ihnen auch sehr nahe. In der Rhythmisierung der Bewegungen wie in den Weiten, die sie eröffnen als erlebten wir Himmel und Landschaften,  und von denen sie nahelegen, das Weite gehöre uns an, finden  Dringlichkeit und Zauber der Anfänge des Oeuvres in anderen Formen des Ausdrucks noch immer  wieder.  

Mir ist aus vielen Begegnungen mit ihm von Raimund Girke bleibend seine Nachdenklichkeit in Erinnerung. Wie mit seiner Malerei war er auch als Person unterwegs zu einem tieferen Grund für das, was er tat und was er wollte. Das bestimmte seine Haltung. Darum vermissen wir ihn heute so sehr. Den Maler und den Menschen.     

Günther Uecker „Vortrag über Weiß“

Eröffnungsrede für die erste Girke-Ausstellung, 1961

Man kann sagen, dass ein Maler mit weißer Farbe malt. Dieses Weiß kann sich zusammensetzen aus einem Verbrennungsprodukt wie Zinkweiß, Bleiweiß oder Titanweiß.


Dieses Pulver wird gebunden mit Harz, auf die Leinwand gestrichen und rhythmisch strukturiert.
Diese Formulierung setzt eine materialistische Betrachtungsweise voraus, in der sich alles statisch befindet und durch den Menschen verändert werden kann.
Ich versuche, es einmal anders zu sehen.


Man wird nicht bestreiten, dass ein Weiß eine große Faszination ausübt, ob Sie es im Flugzeug in großer Höhe erleben, im Winter als Schnee, oder als ein Weiß auf einer Leinwand. Jeder Künstler hat am Anfang eine große Ehrfurcht vor dem Weiß, wie Sie es selbst oder von anderen Künstlern erfahren können. Oft hörte ich: Bevor man zu malen beginne, müsse man das weiße Blatt beschmutzen, weil es die subjektiven Empfindungen und die Produktion dieser Empfindungen störte.


Picasso hat oft das Weiß akzeptiert, aber eine abstrakte menschliche Existenzform eingezeichnet, das Schwarz als das Aufnehmende, das Licht fordernde. Malewitsch hat dieses konkretisiert in seinem schwarzen Quadrat auf Weiß. Das Weiß wurde von allen bekennenden Monisten (uns bekannt als Mönche) in verschiedenen Kulturen als absolute Seinserfahrung angestrebt, wo sich die Grenzen zwischen Sein und Nichtsein verwischen und ein neues Dasein auftaucht. Der Raum als weißer Raum, als ein Raum des geistigen Seins, zeigte sich in der Zelle der christlichen Mönchen, in Lebens-gemeinschaften der islamischen Kultur, die jede Darstellung menschlichen wie göttlichen Seins als formal verbot. Der monotone Gesang der der Vorgregorianik versuchte das Weiß im Gebet zu artikulieren. Dieser meditative Gesang der Wiederholung und die Modulation eines Tones vermochten den Menschen in einen geistigen Bereich zu rücken und sich mit ihm zu verbinden.


Als Erfahrung der Leere im buddhistischen Religionsbereich zeigt sich ein phänomenaler Zustand, der nicht mit Hilfsmitteln wie Gebetstafeln oder mit abstrakten Räumen erreicht wird, sondern durch die Sensibilisierung des Menschen bis zur Entäußerung, bis er in den Nichtvorstellungsbereich gerückt wird.
Yves Klein vermochte uns ein Zone der Leere empfinden zu lassen in einem Raum der Leere bei Iris Clert in Paris und in seinem Theater der Leere. Diese Demonstration hat auf viele Künstler eine große Wirkung ausgeübt, die im Weiß ein neues Sprachmittel sahen, ihre geistigen Erfahrungen zu vermitteln. Hier wird der Mensch in seiner Ganzheit akzeptiert, er begibt sich vor und in diese Sprache, und was zwischen ihm und der Information eines Künstlers geschieht, kann ihn teilnehmen lassen, kann ihn in den schöpferischen Prozess einbeziehen.


Hier muss sich der Mensch nicht mit einem Gleichnis seiner selbst im Bild verbinden, sondern kann ohne Übersetzung in sich selbst ein visuelles Phänomen erfahren. Um auf meine Arbeit zu kommen: Hier sehen Sie ein leises Stakkato, eine lesbare Weißzone, die in ihrer Feinheit unsere sensibelste  Regung erweckt, die uns eine neue Welt der kleinen Nuancen, der Stille, abseits allen Geschreies, vermittelt.

(1961)


aus Schriften Günther Ücker – Gedichte Projektbeschreibung Reflexionen Erker-Verlag, St. Gallen/CH, 1979 Seiten 106 und 107

Johannes Meinhardt „Eine Choreographie des Lichts“,  2012


Die besondere Stellung, die Raimund Girke in der Malerei seit den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts eingenommen hat, aber auch bis heute einnimmt, hängt eng mit der zentralen Metapher seiner Arbeit zusammen, die vor allem seine späteren Arbeiten stark prägt: die Metapher der Farbe als reiner Energie, als Licht. Und die Farbe, die am reinsten strahlt, die quasi sich von selbst in reine Energie transformiert, ist das Weiß. „Weiß ist die Farbe, die dem Licht am nächsten ist.“ Daraus ergibt sich, dass „Weiß“ für Raimund Girke nicht eine Farbe unter anderen ist, und sei es diejenige Farbe, die alle anderen Farben in sich versammelt; „Weiß“ ist der Name für Malerei als Intensität und Licht ganz allgemein. Ein Gemälde muss weiß sein, damit es reine Energie ist.

 

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Ernst-Gerhard Güse „Raimund Girke – Malerei, Spur des Denkens“

 

Zur Eröffnung am 18.5.2003

Kunstraum Fuhrwerkswaage Köln

 

„Es hängt mit meiner momentanen Situation zusammen, dass ich denke, vielleicht ist es in einem halben Jahr vorbei, ich muß also noch mal selber mitbestimmen, wie das aussehen soll“, bemerkte Girke in einem Gespräch. Das er im Sommer 1995 während der Vorbereitung zu seiner großen retrospektiven Ausstellung führte, die dann in vier Museen gezeigt werden konnte. Er ließ so erkennen, wie sehr sein Denken und Handeln in den 90er Jahren nach der Entdeckung seiner Krankheit im Januar 1993 vom Bewußtsein einer schweren Lebensbedrohung geprägt war. Diese Situation zwischen Bangen und Hoffen hielt ihn nicht ab, intensiv zu arbeiten, ja es will im Nachhinein scheinen, dass seine Arbeiten in den neunziger Jahren eine gleichsam existenzielle Dimension gewannen.

 

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Wieland Schmied „Die Welt des Weiß“


Über Raimund Girke, 2000

 

Im Winter 1996 hatte Ulrich Bischoff Raimund Girke nach Dresden in die Gemäldegalerie Neue Meister eingeladen und seinen Bildern ein Gästezimmer neben jenen der Meister des 19. Jahrhunderts eingeräumt. Girkes eigentlicher Gastgeber aber war, wie Ulrich Bischoff in seinem schönen Katalogvorwort betonte, Caspar David Friedrich. Wenn Raimund Girke, der aus dem Osten, aus Schlesien, stammt, nach Dresden gekommen sei, dann sei er immer schon zu Caspar David Friedrich gekommen. Und nun habe Friedrich ihn bei sich aufgenommen. Zum Zeichen des Willkommens hatte Ulrich Bischoff zu den elf Bildern von Girke als zwölftes eines von Friedrich aus der Dresdener Sammlung gehängt, das Raimund Girke besonders lieb war: >Gebüsch im Schnee<

 

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Gottfried Boehm „Im Grenzbereich. Der Maler Raimund Girke“, 1986


Der erste Blick

 

Bevor sich der dem Bilde zugewandte Leser auf den Weg der Analyse begibt, tut er gut daran, sich der Fülle und Suggestion des ersten Blickes zu versichern.

SO schnell dieser Beginn verloren ist, er pflanzt doch den Keim einer lebendigen Erfahrung in uns ein. Die folgenden sachlichen und historischen Argumente können bis dahin zurückkehren, diese Erfahrung klären und stärken.

 

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